Wanderung in Gewandung
Das
war unser erster Versuch eine Wanderung in Gewandung zu unternehmen,
einfach mal abseits von Veranstaltungen, Museen und Märkten sich zu
treffen und noch einmal vor dem Winter unserer Kleidung der Ottonenzeit
auszuführen.
Das Selketal bei Mägdesprung erwies sich
als idealer Stützpunkt für unser kleines Wanderwochenende. Das
Einpacken am Freitag erwies sich als überschaubar und wir konnten alle
nach der Arbeit dort eintreffen. Das gastliche Haus von Ehepaar K. lag
sehr idylisch. Schiefer und Holz herrschten vor, der Gastraum war sehr
passend für uns. Vegetarische Kost stellte für uns Mittelalterleute die
größere Herausforderung dar. Es schmeckte letztendlich aber auch. Aber
um die Unterkunft des 21. Jahrhunderts im Öko-Stil der 80ziger Jahre des
vorherigen Jahrhunderts soll es hier nicht gehen. Beginnen wir also
sofort mit der Wanderung:
Unsere Wandergruppe bestehend (von links nach rechts) aus Sabine, Nette, Isidorus, Buteo, Hemmo und Rike.
Die kalten Finger der Nebelfrau
Es
war nicht mehr die ganz frühe Morgenstunde, zu der wir aufbrachen. Die
Terz war eben gerade durch, aber die Nebelfrau war schon verschwunden,
doch ihre kalten und unsichtbaren Finger waren noch allerorten. Deswegen
verschwanden die Sommertuniken unter Wolle oder wurden gleich
fortgelassen, Nette zog sogar ihren Halbkreismantel über. Der Weg führte
uns durch Wald an der Selke entlang bis zu den Füßen der Burg Anhalt, von
der nicht viel erhalten ist und die es in der Ottonenzeit noch nicht
gab. Hier überquerten wir die Selke. Da es inzwischen ein Brücke gibt
nicht an einer flachen Stelle, sondern über eine Brücke. Einige Leute im
urbayrischer Gewandung machten uns rasch klar, dass wir am heutigen Tag
nicht die einzigen Gewandungswanderer sein würden. Wanderer ganz ohne
Gewandung begegneten uns allerdings nicht. Der überall grob geschotterte
Wanderweg blieb uns den Tag über erhalten, war weder für unser
mittelalterliches noch für neuzeitliches Schuhweg sonderlich gut. Unter
dem Gesichtspunkt naturbelassener Wege fällt, das sei vorweg gesagt, die
ganze Strecke durch.
Unser historisches Ziel: Geros Stiftskirche
Die Stiftskirche von Gernrode, Stiftung von Markgraf Gero
und seiner Schwiegertochter Hathui, die auch erste Abtissin für die
adligen Stiftsdamen wurde, war das Ziel unserer Wanderung. Auch unsere
Route dorthin war nur teilweise historisch, denn höchstwahrscheinlich
hätten wir wohl die Straße von Harzgerode kommend genommen, aber wo
Biker und Ausflügler auf unauthentischen Teerbelag herumkurven, da ist
kein Platz für Ottonen.
Immerhin geben wir ein
malerisches Bild ab: Drei leichtbewaffnete Männer, drei von der Kleidung
nicht ganz arme Frauen, die zusammen ihre Siebensachen in zwei
Korbkiepen und einer Umhängetasche transportieren. Noch im Wald gab es
die erste Pause, danach erreichten wir relativ rasch das Sternhaus.
Unser Weg kreuzte die Straße nach Gernrode und wir hätten selbst ein
Stück dieser Straße bis hinunter zum Ostergrund gehen müssen, aber wir
gingen zunächst im Wald weiter und kehrten entlang der Trasse der Harzer
Schmalspurbahn querfeldein auf feuchter Wiese auf die eigentliche Route
zurück. Diese Anstrengung verlangte nach dem Mittagsimbiss "Zum
verendeten Reh" "mit Hirschwurst, Brot und Käse, dazu Gänsewein, alles
aus den Kiepe", wie es Sabine ausgedrückt hat. Der ruhige Blick auf
herbstliche Wiese und Wald war beruhigend. Es war warm geworden und wir
brachen auf, bevor wir richtig schläfrig wurden und uns vielleicht der
"Alte Weidenmann" erwischte.
Durch den Ostergrund
Die
Wanderung näherte sich langsam ihrem Ziel. Im Ostergrund passierten wir
ein Rückhaltebecken, durch das das Tal sehr seinen ursprünglichen
Charme verloren hat, und versuchten dort zu schleudern. Aber das Harzer
Schottergestein ist für ordentliche Schüsse gänzlich ungeeignet. Schade!
Wir begegneten jetzt, je näher wir auf Gernrode zumarschierten, anderen
Wanderern, die sich freuten oder dumme Bemerkungen machten, ganz nach
Temperament oder Einstellung. Ich nahm mir fest vor, für das nächste Mal
Erklärungszettel in der Umhängetasche zu haben, aus den die Leute
ersehen können, warum wir so komisch herumlaufen. Denn Wanderung in Gewandung, was
ist das eigentlich? Ist das ein neuer Trend in der historischen
Darstellung? Der erste Gedanke, den die Leute dabei hatten, das schloss
ich aus den Bemerkungen, war, das wir aus einem Mittelaltermarkt in der
Umgebung entlaufen
Wir wanderten weiter,
erreichten den Ostersee und bogen vor ihm Richtung Stadt ab. Hier
standen schon die ersten Wochenendhäuser und Häuser am Hang. Wir
brauchten nur noch gemächlich in die Innenstadt herab zu schlendern. Den
Damen verlangte es vor dem Kirchgang rasch nach einer Stärkung. Die
Herren waren auch nicht abgeneigt.
Über 1000 Jahre und ein Tag
Das
Ziel war erreicht. Wir standen vor der Stiftskirche in Gernrode. Viele
Informationen, die in der Kirche auch als Ausstellungstafeln zu sehen
sind, habe ich ans Ende des Berichtes gelegt. Wo wir jetzt standen, und
auf dem Gruppenbild zu sehen sind, stand einst die Burg und der Hof von
Markgraf Gero, einem der rücksichtslosesten Vasallen Kaiser Ottos und
sein Mann für das Grobe in Slawenangelegenheiten. Bis heute ist er im
Verhältnis Slawen und Deutsche stark umstritten. In der
Wikipedia-Diskussionsseite weist ein User zu Recht darauf hin, dass man
einen Markgrafen jener Zeit nicht mit heutigen Maßstäben messen könne.
Da Geros Wirken jedoch polnische Staatsgründungsmythen berührt, führt
man ihn gern als ersten "häßlichen und brutalen Deutschen" an. Die
Kirche zu seinem Gedächtnis steht bis heute. Er muss ein wichtiger und
außergewöhnlicher Mann gewesen sein, da die ottonischen Königschroniken
so viel über ihn zu berichten wissen.
Die
Stiftskirche selbst in der heutigen Form ist natürlich nicht mehr der
Bau der Ottonen, aber hat sich viel von der Ursprünglichkeit bewahrt,
ist zudem sehr sensibel (bis auf die Innenbemalungen) restauriert
worden. Das kann nachgelesen werden. Und gerade wird wieder an der
Kirche restauriert, das wesentlich später entstandene "Heilige Grab"
wird einer Auffrischung unterzogen. Dennoch war das Grab Geros ein
angemessenes, ja fast heiliges Ziel. Die Krypten (nur die östliche ist
ottonisch) luden zur Einkehr ein. Es war jedoch spät geworden, wir
hatten die Kirche zu verlassen. Ohnehin, das Abendbrot wartete auf uns.
Noch
ein Wort zum Schuhwerk: Rike, Buteo und Hemmo hatten CP-Schuhe an.
Diese waren z.t. genagelt, was ich für Wanderungen auch befürworten
würde, auch wenn die Fundlage da sehr düster ist. Bei Sabine und Nette
ist es ähnlich. Ich hatte die "Theophanu-Schuhe" von Snorri an, die aber
schon einen Riß hatten, der sich zu einem klassischen Loch auflief. Ich
kann nun sagen: "Ich gehe meilenweit für Kaiser Otto."
Am Ende noch viele Informationen über die Stiftskirche Gernrode und das Leben der Stiftsdamen, die Ausstellung Schleierhaft?.
Euer gewanderter Isí
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